Vom Umgang mit überaktiven Kindern Schulpsychologischer Dienst Detmold I. Diese Kinder sind gemeint:
- Sie müssen Gedanken, die ihnen durch den Kopf schießen, sofort mitteilen. - Sie beschäftigen sich
nicht länger als 5 Minuten mit einer Sache. - Sie kippeln mit dem Stuhl, wälzen sich auf dem Schultisch hin und her, fallen vom Stuhl oder hocken unter dem Tisch.
- Sie sind bewegungsunruhig, aber trotzdem bewegungsungeschickt. - Sie werfen mit dem Ellenbogen das Saftglas um, wenn sie die Gabel aufnehmen. - Sie rennen Mitschüler und Telegrafenmasten um.
- Sie fahren so Fahrrad, dass man froh ist auf der anderen Straßenseite zu sein. - Sie schwimmen nicht, sondern paddeln wie ein Hund. - Sie können mit acht Jahren noch keine Schleife binden.
- Sie machen beim Abschreiben mehr Fehler als im Diktat. - Sie schlagen das falsche Buch auf der falschen Seite auf und finden das richtige dann, wenn die anderen schon ins Heft schreiben.
- Sie können wichtige Geräusche, z.B. die Stimme des Lehrers, nicht von Nebengeräuschen trennen. - Beim Schreiben wenden sie starken Druck an und halten sich nicht an die Linien.
- Sie bewegen beim Schreiben den Mund, die Zunge, die freie Hand oder die Füße. - Sie dossieren unpassend: die motorischen Kräfte, die Stimme, die Argumente, die Empfindungen, das Engagement.
- Sie sind impulsiv und explosiv, liebeheischend und distanzlos, sensibel und verschlossen. - Sie benehmen sich wie Kleinkinder, sind nur nicht mehr so liebenswert...! Diese Aufzählung wäre
beliebig zu verlängern. Bei jedem einzelnen Kind finden sich typische Symptome in unterschiedlicher Ausprägung. Es gibt Kinder, die mehrere Störungen in so minimaler Ausprägung haben, dass diese als einzelne
Störung kaum wahrnehmen sind, in ihrer Wechselwirkung das Kind insgesamt jedoch auffällig werden lassen. Andere Kinder haben vielleicht ein oder zwei der genannten Merkmalen, diese aber in so starker
Ausprägung, dass die Störung leichter zu erkennen und zu beschreiben ist. II. So kann man es definieren: Als hyperaktiv bezeichnet man Kinder, die nicht stillsitzen können, immer zappeln oder etwas in den Händen haben müssen;
die insgesamt extrem umtriebig und bewegungsunruhig sind. Der Begriff “Hyperaktivität” bezieht sich also auf die Motorik. Als hyperkinetisch werden Kinder bezeichnet, die 1. Aufmerksamkeitsstörungen
haben: wenig Ausdauer in der Arbeit, schneller Wechsel in den Beschäftigungen, leichte Ablenkbarkeit, 2. gefühlsmäßige Labilität zeigen (also zwischen Anlehnungs
bedürftigkeit und heftiger Wut hin- und hergerissen sind; durch robuste Unempfindlichkeit und extreme Verletzlichkeit gleichermaßen beeindrucken),
3. impulsives, vorschnelles und planloses Handeln zeigen, 4. bewegungsunruhig sind. Sehr häufig weisen die Kinder als zusätzliches Merkmal Integrations- oder Wahrnehmungsstörungen auf. Es kann sich
z.B. um Störungen in der optischen oder akustischen Differenzierung handeln oder aber um eine gestörte Tastwahrnehmung oder ein ungenügend ausgeprägtes Gleichgewichtsgefühl. Wie oben bereits erwähnt, gibt es
noch eine Reihe von anderen denkbaren Integrationsstörungen, und diese können in unterschiedlichster Kombination und Ausprägung vorhanden sein. Nun kommt noch etwas hinzu: Diese Kinder wissen häufig
nicht, wie sie eine Freundschaft aufbauen und aufrechterhalten können, obwohl sie ihrem Gefühl nach große Anstrengungen dafür unternehmen. III. So muss man sich das vorstellen: Stellen Sie sich
vor, sie wären ein Kind mit wenigstens fünf der unter 1.
genannten Eigenschaften, von denen jede einzelne ausreicht für viel, viel Ärger. Was wären Sie für ein schreckliches Kind ! Wenn Sie irgendwo hinkämen, wüssten Sie genau, dass alle froh wären, wenn Sie wieder gingen. Und das wäre ja auch verständlich, denn überall, wo Sie auftauchten, entstünde Unruhe, ginge etwas kaputt...
Wenn Sie so ein Kind wären, würden Sie bemerken, dass Kameraden und Geschwister viele Dinge “einfach so” können. Sie würden Angst davor bekommen, dass alle merkten, wie Ihnen oft die simpelsten Dinge
nicht gelingen. Sie würden sehr genau spüren, dass die anderen Kinder “passender” und “liebenswerter” sind. Denn das bestätigen Ihnen eigentlich die Kameraden, die Eltern, die Lehrer dadurch, dass sie Ihnen
immer und immer wieder sagen, was Sie falsch machen oder was Sie nicht können. Und wie, glauben Sie, würden Sie sich fühlen, wenn Sie so ein schreckliches Kind wären und eigentlich das Gefühl haben
müssten, dass das Leben für alle, für die Sie gerne “gut” wären, ohne Sie schöner sein müsste ?! IV. Die Ursachen: Als Ursachen von Hyperaktivität bzw. Hyperkinese werden diskutiert: Biochemische Faktoren: Verbindungen zwischen Nervenzellen kommen nicht
wunschgemäß zustande oder biochemische Reifungsprozesse verzögern sich, z.B. durch - schädigende Einwirkungen während Schwangerschaft und Geburt, - Stoffwechselstörungen,
- Schwächung der körpereigenen Abwehr infolge von Umweltbelastungen. Erbliche oder anlagebedingte Faktoren: Viele Wissenschaftler gehen davon aus, dass bei Kindern eine erbliche Disposition
vorhanden sein muss. Hirnorganische Faktoren: In den letzten Jahren treten diese Faktoren zunehmend in den Hintergrund, kommen in Einzelfällen immer noch als Ursache in Betracht.
- Infektionskrankheiten, - außergewöhnliche Belastungen während Schwangerschaft oder Geburt. Fast immer sind die Auffälligkeiten multifaktoriell bedingt, d.h. bei einem Kind kommen mehrere Ursachen
in Frage. Es gibt auch sogenannte hypoaktive Kinder, bei denen man ganz ähnliche Ursachen, die aber eher aktivitätsgebremst sind. Sie fordern von ihrer Umgebung nicht so viel Zuwendung, daher
werden ihre Probleme häufig übersehen. V. Die Sache mit dem Verkehrspolizisten - ein bildhafter Vergleich - Das menschliche Gehirn muss Sinneseindrücke und Empfindungen ordnen, damit ein
Mensch sich normal bewegen und verhalten kann. Das gehirn lokalisiert und ordnet Empfindungen etwa so wie ein Verkehrspolizist, der Autos und Fußgänger leitet. Fließen Sinneseindrücke in einer gut
organisierten Weise dem Gehirn zu, kann dieses daraus Wahrnehmung, Verhaltensweisen und Lernprozesse formen. Wenn der Fluss unorganisiert erfolgt, wird Verhalten ungeordnet ablaufen - ähnlich einem
Verkehrschaos. Bei diesen “ärgerlichen” Kindern... fallen offensichtlich ein paar Verkehrspolizisten aus oder leiten den Verkehr falsch. Dadurch werden Wahrnehmungen blockiert oder falsch zugeordnet.
Die darauf aufbauenden Gehirnleistungen werden erschwert und eine Vorstellung von den einfachsten Alltagszusammenhängen bereitet Probleme. Viele dieser Kinder... können Bewegungen nicht zielgerichtet
und gut dossiert einsetzen. Das Bewegungsbild scheint plump/ungeschickt, überschießend/grob oder aber fahrig/zittrig, so, als ob jeder Körperteil ein anderes Ziel verfolge. Stellen Sie sich vor, Sie wären
ein so bewegungsungeschicktes Kind. Was würden Sie in der Sportstunde machen, wenn Sie wüssten, dass Ihre Bewegungen allenfalls dazu taugen, andere zum Lachen zu bringen ? Die Leistung verweigern ? “Über den
Dingen” stehen ? Oder vor den anderen den “Kaper” markieren ? Stellen Sie sich vor, Sie hätten Probleme, Ihre Augenmuskeln zu kontrolliert zu bewegen. Ihre Augen würden beim lesen und Schreiben nicht
immer im gleichen Abstand vorrücken, sondern mal weiter oder sogar zurückgehen. Oder Sie würden sich in der Zeile vertun. Bei größter Anstrengung könnten Sie dieses vielleicht verhindern. Aber ab und zu
würden Ihnen doch Fehler unterlaufen - ärgerliche Fehler, die keiner versteht... Die Ausmaße und Begrenzungen des eigenen Körpers der Grad der Anspannung der Muskeln ist für viele Kinder ein
Unsicherheitsfaktor. Was die meisten Menschen unbewusst wahrnehmen, bedarf bei diesen Kindern immer der unbewussten Prüfung. Ihr Gehirn stellt diese grundlegenden Informationen nicht zur Verfügung. Nichts
geht automatisch. Das kann für Sie bedeuten, dass Sie immer Ihren Körper und Ihre Umgebung erspüren müssten, um zu wissen, wie Ihre Hände zueinander stehen, ob Sie den Kopf schief oder gerade halten, ob
Sie ganz oder nur halb auf dem Stuhl sitzen, ob der Nachbar oder Sie selbst schräg sitzen, ob der Lehrer oder Sie selbst sich bewegen. - Und Sie müssten immer reden, so in der Art eine Echlots, um
festzustellen, wer mit Ihnen im Moment etwas zu tun hat und wer nicht. Diese Unterscheidungsfähigkeit von “wichtig” und “unwichtig”... versagt häufig bei diesen Kindern. Sie müssen sich aus ihrer
erfahrung und dem, was man ihnen sagt, eine Vorstellung von den realen Wichtigkeiten zurechtlegen, obwohl ihr eigenes Wahrnehmungssystem ihnen etwas ganz anderes als “wichtig” aufzwingen wil.. Denn das
eigene Gehirn erkennt “Wichtiges” nicht. Stellen Sie sich vor, Sie sehen einen spannenden Film und sollen dabei eine schwere Rechenaufgabe lösen. Der Film würde sich Ihnen immer als “wichtig” aufdrängen.
Sie aber müssten immer daran denken, dass die Rechenaufgaben wichtiger sind und Sie diese fertig machen müssen. Was wäre das für eine tolle Leistung, wenn Sie die Rechenaufgaben schaffen würden ! Ihre
Anstrengung hat natürlich niemand bemerkt... Es kann sehr lange dauern... bis diese Kinder eine Situation genau geordnet und im Griff haben. Erst dann können Sie anfangen zu spielen, zu basteln, zu
lernen. Oft wird eine Situation erst ganz erfasst, wenn die nächste schon da ist... Wissen Sie, dass, um einen Anspitzer auf einem vollen Tisch zu finden, die Augen systematisch
den Tisch absuchen müssen ? Wenn nun andere Dinge auf dem Tisch liegen, ziehen diese vielleicht die Aufmerksamkeit auf sich, und es wird schwer, den Anspitzer zu finden. VI. Jedes Kind ist anders
Manchem Kind hilft es, - wenn es zu Beginn der Unterrichtsstunde zu Wort kommen darf, nämlich dann, wenn seine Konzentration noch einigermaßen hoch ist,
- wenn man mit dem Kind Zeichen vereinbart um es “zurückzuholen”, - wenn seine rasche Ermüdbarkeit nicht als Faulheit ausgelegt wird, - wenn es, um seine eigene Aufmerksamkeit zu steuern, die
Technik des “inneren Sprechens” erlernt. Manchen Kindern hilft es, - wenn während einer Unterrichtsstunde Bewegungspausen ermöglicht werden (Unterrichtsgänge, inoffizielles Austreten),
- wenn sie sich nach einer aktiven Spielpause regenerieren können, - wenn der Sportlehrer das Gespött der Kameraden verhindern kann und kooperative oder sychomotorische Spiele anbietet.
Einigen Kindern hilft es, - wenn man ihnen als Diktat einen Lückentext gibt,. - wenn sie in der Berichtigung nur die falsch geschriebenen Wörter korrigieren müssen,
- wenn bei Kopfrechenaufgaben erlaubt wird Teilergebnisse zu notieren, - wenn neue Informationen so anschaulich wie möglich erfahrbar gemacht werden, - wenn man auf Beeinträchtigungen im
visuellen und akustischen Bereich Rücksicht nimmt und den Sitzplatz in der Schule entsprechend wählt. Manchem Kind hilft es, - wenn man es anschaut oder anfasst, wenn man mit ihm spricht,
- wenn ihm Hilfen gegeben werden bei der Organisation seines Arbeitsplatzes, seiner Hausaufgaben, z.B. durch eine Checkliste, - wenn man ihm bei Antworten Zeit und Hilfestellung gewährt, - wenn man
herumhantieren Kritzeln auf dem Papier als Ausdruck der Spannungsabfhr akzeptieren kann (die Plüschmaus unter dem Tisch bindet die Unruhe). Manchem Kind hilft es, - wenn man ihm “Aufträge” gibt,
von denen man sicher ist, dass es diese gut ausführen kann, - wenn er als Schüler/in in einer Sache Experte vor der Klasse sein darf. Allen Kindern hilft es,
- wenn sie trotz ihrer Probleme das Wohlwollen der Lehrer und Eltern spüren, - wenn Lehrer und Eltern richtig loben: Statt “na, siehst du, du
kannst doch, wenn du willst” besser “ du hast dich angestrengt, und es hat geklappt, prima !” - wenn der Lehrer im persönlichen Gespräch signalisiert, ich weiß
von deinen Schwierigkeiten und ich unterstütze dich, - wenn Erwachsene nicht nachtragend sind. Manchen Kindern hilft es, - wenn sie sich auf einen klar strukturierten Tagesablauf verlassen
können, - wenn sie sich auf angekündigte Konsequenzen verlassen können, - wenn sie Sicherheit durch feste Rituale in Schule und Familie erhalten,
- wenn sie nicht durch zu viele Regeln eingeengt sind, - wenn Sie kleinere Vergehen übersehen und gutes Verhalten positiv verstärken. Meistens hilft es dem Kind, - wenn zwischen Lehrer/innen und
Eltern enge Zusammenarbeit besteht, - wenn Fachleute aus dem Umfeld des Kindes zusammen. Ideal wäre es, wenn jedes Kind das “Seine” und nicht alle das Gleiche bekämen . . . (Pestalozzi)
Dieser hohe Anspruch lässt sich bei den individuellen Unterschieden sicher kaum verwirklichen. Aber mit kleinen wohlüberlegten Schritten erreicht man auch schon etwas . . . VII. Hilfe bei der Frage, ob es sich um ein
hyperkinetisches Kind handelt, bzw. wie man als Eltern oder Lehrer dem Kind am besten helfen kann, können Sie erwarten von - Kinderärzten/Kinderärztinnen - Sozialpädiatrischen Kinderzentren
- Schulpsychologische Beratungsstellen - Beratungsstellen für Eltern, Kinder und Jugendliche - Elternselbsthilfegruppen. Schulpsychologischer Dienst Detmold 05231/977-312 zurück zum Seitenanfang |