Irgendwie verhielt er sich schon als Kleinkind anders, z.B. hörte er nicht zu, wenn es darauf ankam, war sprunghaft und konnte wenig mit seinem Spielzeug anfangen,
außerdem zeigte er ausgeprägte Trotzphasen. Trotzdem war er ein aufgewecktes Kerlchen, das man liebhaben musste. Die Kindergartenzeit war bereits sehr problematisch. Er konnte sich nicht in die Gruppe
integrieren, störte im Stuhlkreis, indem er seinen Stuhlnachbarn ärgerte oder petzte. Wo er auftauchte gab es "Ärger", weil er sich nicht in das Spiel der anderen Kinder einfinden konnte.
Jedesmal, wenn ich ihn vom Kindergarten abholte, musste ich mir von den anderen Kindern oder den Erzieherinnen anhören, wie ,,böse" Stefan heute wieder gewesen sei.
So wurde er bald zum Außenseiter,
hatte keine Freunde mehr und mein Mann und ich überlegten, was wir nur bei unserer Erziehung falsch machten. Auch die Nachbarn und Freunde meinten, wir sollten doch strenger mit ihm sein und "härter
durchgreifen".
Häufig schien es mir auch so, dass er nicht richtig hörte, weil er viele Sachen im Kindergarten und zu Hause einfach nicht mitbekam, z.B. hörte er bei
Erteilung von Aufträgen und Erklärungen nicht zu und konnte sie später auch nicht ausführen. Sein Gehör war aber laut HNO-Arzt in Ordnung.
Zu anderen Kindern konnten wir ihn kaum zum Spielen schicken,
schon nach kurzer Zeit kam er wieder nach Hause. Meist wurde er heimgeschickt, weil er sich nicht an die Spielregeln halten konnte. Mit mehreren Kinder zusammen klappte das Spielen überhaupt nicht. Deshalb
lud ich häufig Kinder zu uns nach Hause ein, aber dann war es nötig, dass ich immer dabei blieb und das Spiel irgendwie regelte. Sobald ich den Raum verließ gab es Ärger.
Mit sechs Jahren sollte Stefan
eingeschult werden. Wir hatten das Gefühl, Stefan sei eigentlich nicht schulreif und gingen der Einschulung mit gemischten Gefühlen entgegen. Aber die Schulärztin verwarf unsere Bedenken, lediglich bemerkte
sie, dass die Feinmotorik noch nicht so gut entwickelt sei, da er etwas unsicher malte. Oberhaupt meinte sie, dass man ihn in der Schule schon zurechtbiegen würde.
Auch durch die Geburt von Stefans Schwester, die im April 94 geboren wurde, erhofften wir uns Fortschritte bei seiner sozialen Entwicklung. Aber es kam leider ganz anders.
Schon nach einer Woche
ließ die Lehrerin anklingen, dass es in der Schule nicht so gut klappte. Stefan könne nicht auf seinem Platz sitzen bleiben, ärgerte ständig andere Kinder und befolge einfache Anweisungen nicht.
Bald
häuften sich die Beschwerden. Fast täglich riefen die Lehrerin oder andere Eltern bei uns an und beschwerten sich über Stefans Verhalten in der Schule oder im Bus.
Er wurde von fast allen
Kindern abgelehnt und immer mehr zum Außenseiter, dadurch blieb nicht aus, dass er auch immer häufiger aggressiv wurde.
Alle Erziehungsversuche, wie Appelle an die Vernunft, Gespräche, Strenge,
Verbote und Strafen hatten nicht. Obwohl er uns jeden Morgen versprach heute in der Schule keinen Ärger zu machen und aufzupassen war am Nachmittag garantiert die nächste Beschwerde zu erwarten.
Stefan
selbst war unglücklich über diesen Zustand. ,,Ich will ja lieb sein, aber ich kann es nicht”, diese Antwort bekamen wir oft von ihm zu hören.
Ein Lehrer der Schule, der sich mit Kinesiologie auskannte und
eine spezielle Ausbildung hatte, meinte darin eine Lösung zu sehen. Obwohl er mit Stefan und uns einige Sitzungen abhielt, die wir privat bezahlen mussten, konnte er uns nicht weiterhelfen. Stefans Verhalten
änderte sich nicht.
Wir als Eltern waren verzweifelt. Wir konnten uns nicht erklären, warum er sich so unmöglich verhielt, wo wir doch ganz friedfertige Menschen waren und ihm solches Verhalten keineswegs
vorgelebt hatten. Schließlich war Stefan kurz vor der Einweisung in eine Sonderschule für verhaltensauffällige Kinder.
Unsere ganze Familie litt Höllenqualen, wir schämten uns für das Verhalten unseres
Sohnes. Alle Welt meinte, wir hätten unseren Sohn falsch erzogen. Wir fühlten uns als Versager. Ich war nervlich so am Ende, dass ich depressiv wurde und am liebsten mit dem Auto gegen den nächsten Baum
gefahren wäre. Heute weiß ich nicht, wie ich diese schlimme Zeit überstanden habe.
Endlich bekamen wir am Ende des 1. Schuljahres einen Termin bei einer Ärztin. Zum ersten mal hörten wir etwas von
"ADS +/- Hyperaktivität" Nach umfangreicher Testung, teilte uns die Ärztin mit, dass Stefan ein schweres ADS mit Hyperaktivität hätte.
Stefan wurde medikamentös auf "Ritalin"
eingestellt. Gleichzeitig erklärte sie uns, wie wir mit Stefans Störung umgehen mussten. Bereits nach der Gabe des Medikamentes veränderte sich Stefans Verhalten. Er wurde rücksichtsvoller und flippte bei
Anforderungen nicht mehr gleich aus. Für die Familie war es eine enorme Entlastung.
Endlich kannten wir die Ursache für Stefans Verhalten und die Probleme in der Schule, nämlich eine angeborene
Neurotransmitterstörung im Gehirn. Stefan machte zusätzlich eine Verhaltenstherapie bei einer spezialisierten Psychologin. Wir Eltern nahmen an einem Elternkurs teil, bei dem wir lernten, wie wir mit Stefan
besser umgehen können. Dies ist trotz aller Hilfe immer noch nicht leicht. Die alleinige medikamentöse Behandlung reicht nicht aus, sondern es ist nötig, dass die ganze Familie an diesem Problem mitarbeitet,
z.B. durch die Aufstellung von Regelplänen.
Alle diese Maßnahmen waren für Stefan sehr wichtig und erfolgreich. Er konnte an der Regelschule bleiben. Seine Leistungen sind gut bis befriedigend. Seine
Beurteilungen und Zeugnisse wurden von Jahr zu Jahr besser und er gilt inzwischen als unauffälliges Kind.
Nach den Sommerferien 1998 besucht er das 5. Schuljahr der Förderstufe, ohne bisher eine Klasse
wiederholt zu haben. Besonders erfreulich ist, dass er sein Sozialverhalten positiv verändert hat und Freundschaften zu anderen Kindern unterhalten kann. Er spielt erfolgreich Tennis, was sehr zur
Verstärkung seines Selbstbewusstseins beiträgt und die Anerkennung seiner Freunde findet.
Ich wünsche mir von ganzem Herzen, dass das Problem "ADS" bei der Bevölkerung und besonders bei
Erziehern, Lehrern und der Schule Beachtung findet, damit möglichst vielen Kindern ein solch negativer Lebensweg erspart bleibt.
Um meine Erfahrungen weitergeben zu können und mehr Aufklärungsarbeit für
Kindergärten und Schule zu leisten, habe ich zusammen mit ebenfalls betroffenen Müttern einen Elterngesprächskreis gegründet. Ich kann nur jeder betroffenen Familie empfehlen sich einer solchen Gruppe
anzuschließen, denn hier merkt man dass man mit seinen Problemen nicht allein dasteht, sondern viele ähnliche Probleme haben.
Wir treffen uns einmal monatlich zum Erfahrungsaustausch und
organisieren auch Referate von Ärzten und Therapeuten, die sich mit der ADS-Problematik auskennen. Unsere Gruppe hat sich inzwischen dem