David* war ein liebenswertes, freundliches und aufgewecktes Kleinkind. Auffällig war seine verspätete sprachliche Entwicklung (mit zweieinhalb sprach er
nur wenige Wörter), da er aber alles verstand, machten wir uns keine Sorgen. Mit ca. dreieinhalb Jahren sprach er plötzlich fehlerfrei und in grammatikalisch korrekten Sätzen. Er war sehr lebhaft,
beispielsweise konnte man mit ihm nicht in ein Restaurant essen gehen, weil er ständig im Lokal rumrannte und die anderen Gäste ansprach. Damals dachte ich aber, Kinder wären halt so.
David konnte sehr
früh aufmerksam und lange zuhören, wenn ich etwas vorgelesen habe. Er folgte schnell Geschichten, die eigentlich für ältere Kinder gedacht waren.
Im Kindergarten:
Mit 4 Jahren kam er in
den Kindergarten. Dort gab es keine Auffälligkeiten; lediglich als seine Einschulung anstand (er wurde Ende Juni sechs), bemängelten die Erzieherinnen seine Grob- und Feinmotorik. Auch könne er sich nicht
auf Lernspiele (LÜK u.ä.) konzentrieren. Daraufhin ließen wir einen Einschulungstest durchführen.
Das Ergebnis: Sprachlich ist David weiter als der Altersdurchschnitt, aber er hat eine schlechte
Feinmotorik. Es wurde uns die Einschulung und eine Ergotherapie empfohlen. Für die Ergotherapie verweigerte der Kinderarzt das Rezept.
In der Grunschule:
Die ersten Schulwochen: Schon
bald wurden wir von der Lehrerin angesprochen. David sei sehr unruhig, lebhaft, könne nicht auf seinem Stuhl sitzen, sich nicht an Regeln halten. “Vielleicht solle er in den Schulkindergarten”, wurde uns
geraten.
Nach dem ersten Halbjahr: David hatte sehr schnell lesen gelernt, befand sich leistungsmäßig im oberen Drittel der Klasse. Es war keine Rede mehr vom Schulkindergarten, aber eventuell sollten wir
überlegen, ihn die erste Klasse wiederholen zu lassen. Er wäre sehr unreif für sein Alter.
Nach der ersten Klasse: Im Zeugnis wurde seine Motivation, Begeisterungsfähigkeit und Lesefreude gelobt;
bemängelt wurde seine schlechte Schrift und Feinmotorik. Die Heftführung blieb durchgängig katastrophal.
David hatte Glück, eine sehr engagierte und liebenswerte Lehrerin zu haben, die seine Stärken
anerkannte und förderte und ihm half, an seinen Schwächen zu arbeiten. So kam er recht glimpflich durch die Grundschulzeit, lediglich in der Rechtschreibung hatte er Probleme. Schwierigkeiten bereitete es
ihm leider auch, bei Arbeiten (besonders Mathe) rechtzeitig fertig zu werden. Oft hatte er nur die Hälfte der Aufgaben gelöst. Es wurde ihm oft erlaubt, einen Tag später einen neuen Versuch zu starten, der
dann meist gelang.
Zu Hause:
Sein Verhalten wurde jedoch auch zuhause zunehmend anstrengend; es fiel ihm extrem schwer, Regeln einzuhalten, er alberte herum und nervte, so dass sich im
Prinzip ständig alles nur um ihn drehte.
Er las sehr gerne und überwiegend Literatur für ältere Kinder, bzw. Jugendliche und Erwachsene. Gleichzeitig konnte er auf dem Boden liegen, mit dem Beinen zappeln
und "uäääh" schreien ...
Wir wurden überhaupt nicht aus ihm schlau. Bei seiner Umgebung rief er entweder Begeisterungsstürme oder absolute Abneigung hervor. Dazwischen gab es irgendwie nichts.
Im Gymnasium:
David erhielt eine Empfehlung für das Gymnasium, das er seit letztem Sommer besucht. Der Start war eine halbe Katastrophe: Eine Fünf reihte sich an die andere - mündlich
dagegen glänzte er. In Mathearbeiten ließ er Aufgaben aus, vergaß Rechenwege oder Antwortsätze, schrieb keine oder falsche Maßeinheiten, machte Fehler beim Abschreiben und Zusammenzählen. Der Mathelehrer
empfahl uns, ihn auf die Realschule zu schicken. Ich befürchtete dort intuitiv jedoch die gleichen Probleme.
Beim Elternsprechtag hieß es, er sei unkonzentriert und unorganisiert, könne nicht stillsitzen,
jedoch sei er auch engagiert und motiviert.
Die Hochbegabung:
Wir ließen bei einem Psychologen einen IQ-Test (Hawik-R) durchführen. David erzielte einen Wert von 140 im Verbalteil, 85 im
Handlungsteil. Diese Diskrepanz wurde mit einer visuellen Wahrnehmungsstörung erklärt.
Ich informierte mich dann über Hochbegabung, hatte jedoch nie das Gefühl, Davids Probleme rührten von schulischer
Unterforderung und Langeweile her, denn sie waren schon lange vor der Einschulung zu erkennen. Diese Diagnose war also auch keine Lösung.
In einem Forum, indem sich Eltern hochbegabter Kinder
austauschen, las ich dann den Bericht einer Mutter, die ein gleichaltriges Kind beschrieb. Das hätte David sein können, einschließlich des IQ-Wert-Ergebnisses. Dieses Kind hatte ADS und wurde bereits mit
Ritalin behandelt.
ADS mit Hyperaktivität:
Der Besuch bei einer Kinderneurologin brachte dann die Lösung:
Familienanamnese, Beobachtung, Fragebögen... Die Diagnose lautete ADS mit
leichtem hyperkinetischen Syndrom.
David wird nun mit Ritalin behandelt. Die erste Mathearbeit (nach 4 Fünfen) mit Ritalin war eine Zwei. Auch sein Verhalten ist wesentlich rücksichtsvoller und
umgänglicher geworden.
Wir müssen nun abwarten, wie es sich weiter entwickelt. Seit wir jedoch von der Diagnose wissen, gelingt uns ein geduldiger und verständnisvollerer Umgang mit ihm. Ritalin hat die
Probleme nicht "weggeblasen", wie ich mir das nach dem Lesen so mancher Berichte erhofft hatte, aber es ist schon alles wesentlich besser geworden. Dies merken wir besonders jetzt in den Ferien, wo
er eine Medikamentenpause eingelegt hat...
Liebe Grüße